Mitarbeiterinterviews stellen ein zentrales Instrument zur Aufklärung von Sachverhalten dar. Während sich Teil I dieses Beitrags der Frage widmete, ab wann ein Arbeitnehmer aufgrund einer potenziellen Selbstbelastung die Aussage verweigern darf, beleuchtet Teil II die arbeits- und betriebsverfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen.
Arbeitnehmer sind oft die wichtigste Informationsquelle bei internen Untersuchungen. Ihre Nähe zu betrieblichen Abläufen, ihr Fachwissen und ihr Zugang zu relevanten Informationen sind für eine effektive Aufklärung essenziell. Besonders persönliche Interviews helfen, die Glaubwürdigkeit von Aussagen zu prüfen, Widersprüche aufzudecken und Sachverhalte aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten. Unternehmen müssen bei Internal Investigations sicherstellen, dass ihr Vorgehen arbeitsrechtlich zulässig ist. Dabei stellen sich zahlreiche praxisrelevante Fragen: Besteht eine Mitwirkungspflicht? Welche Rechte hat der Arbeitnehmer? Welche Rolle spielt der Betriebsrat?
Gibt es eine gesetzliche Pflicht zur Aussage?
Eine ausdrückliche gesetzliche Auskunfts- oder Berichtspflicht des Arbeitnehmers lässt sich aus dem österreichischen Gesetz nicht ableiten. Dennoch ergibt sich eine Mitwirkungs- und damit verbundene Auskunfts- sowie Berichtspflicht aus der allgemeinen Treuepflicht, die als zentrales Element des Dienstverhältnisses auch eine Verpflichtung zur Schadensabwehr umfasst.
Der Umfang der Treuepflicht
Die Treuepflicht verpflichtet Arbeitnehmer zur Wahrung der Interessen des Unternehmens. Sie umfasst sowohl Loyalität als auch die aktive Schadensvermeidung (Schadensminderungspflicht) und beinhaltet insbesondere die Pflicht, regelwidriges Verhalten wahrheitsgemäß und vollständig zu melden. Im Kontext interner Untersuchungen bedeutet dies: Arbeitnehmer müssen in Interviews Auskunft geben, sofern ihnen Sachverhalte bekannt sind, die dem Unternehmen schaden könnten. Das bewusste Verschweigen von Verstößen, von denen sie Kenntnis haben, stellt einen Verstoß gegen die Treuepflicht dar.
Art und Umfang der Treuepflicht richten sich nach der Position im Unternehmen: Je höher oder spezialisierter die Funktion, desto größer ist typischerweise das Insider-Wissen – und desto strenger sind die Maßstäbe, die an die Treuepflicht anzulegen sind.
Die Treuepflicht ist jedoch nicht grenzenlos. Sie endet dort, wo sie mit den elementaren Interessen des Arbeitnehmers kollidiert. Eine klare Grenze bildet das Recht auf Schutz vor Selbstbelastung. Kein Arbeitnehmer kann zur Aussage gezwungen werden, wenn er sich selbst oder nahe Angehörige einer strafrechtlichen Verfolgung aussetzen würde (siehe dazu näher Teil I in der Ausgabe Compliance Praxis 1/2025). Nach Beendigung des Dienstverhältnisses entfällt die Treuepflicht. Etwaige nachvertragliche Verschwiegenheits- oder Wettbewerbsverbote bleiben jedoch im rechtlich zulässigen Rahmen aufrecht.
Zur Fürsorgepflicht des Arbeitgebers
Während die Treuepflicht den Arbeitnehmer dazu verpflichtet, die wirtschaftlichen und organisatorischen Interessen des Arbeitgebers zu wahren, unterliegt der Arbeitgeber gemäß § 1157 ABGB einer Fürsorgepflicht gegenüber dem Arbeitnehmer. Diese Pflicht umfasst sowohl materielle als auch immaterielle Schutzinteressen, insbesondere den Schutz der Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers.
Dennoch unterliegt auch die Fürsorgepflicht gewissen Grenzen. Sie wird durch den allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eingeschränkt, sodass der Arbeitgeber nicht verpflichtet ist, eigene oder schutzwürdige Unternehmensinteressen zugunsten der Fürsorgepflicht zurückzustellen.
Arbeitsrechtliche Konsequenzen bei ungerechtfertigter Aussageverweigerung durch den Arbeitnehmer
Ein Arbeitnehmer, der sich seiner Auskunftspflicht entzieht oder bewusst Informationen zurückhält, verletzt in vielen Fällen seine arbeitsrechtliche Treuepflicht und/oder seine dienstvertragliche Pflicht. Dies kann zu folgenden arbeitsrechtlichen Konsequenzen führen:
+ Verwarnung bei Weigerung, dienstliche Fragen zu beantworten;
+ Dienstfreistellung bei Informationsvorenthalt, insbesondere wenn ein Vertrauensverlust vorliegt oder die Anwesenheit des Arbeitnehmers die Internal Investigation beeinträchtigen könnte;
+ Kündigung bei wiederholtem oder gravierendem Informationsvorenthalt;
+ Entlassung in besonders schweren Fällen, insbesondere bei vorsätzlicher Behinderung der Aufklärung.
Auch eine nachweislich wahrheitswidrige Aussage kann arbeitsrechtliche Sanktionen nach sich ziehen, etwa wenn sie zur Verschleierung von Compliance-Verstößen dient.
Rechte des Arbeitnehmers bei Internal Investigations
Auch wenn gesetzlich meist keine konkreten Arbeitnehmerrechte vorgesehen sind, können Arbeitgeber freiwillige Zugeständnisse machen – sei es aus Kulanz, strategischen Gründen oder zur Wahrung des Betriebsfriedens –, solche Entscheidungen liegen stets im Ermessen des Arbeitgebers. Besonders relevant sind dabei folgende Aspekte: (i) Beiziehung einer Vertrauensperson, (ii) Einsichtnahme in das Interviewprotokoll und (iii) Amnestievereinbarungen.
Beiziehung von Vertrauenspersonen
Eine gesetzliche Regelung, die dem Arbeitnehmer das Recht einräumt, bei einem Interview eine Vertrauensperson des Unternehmens oder ein Mitglied des Betriebsrats hinzuzuziehen, besteht nicht. Der Arbeitgeber ist daher grundsätzlich nicht verpflichtet, diesem Ersuchen nachzukommen. In der Praxis kann es jedoch sinnvoll sein, hier Flexibilität zu zeigen. Die Einbindung einer Vertrauensperson oder des Betriebsrats kann Kooperationsbereitschaft fördern, birgt aber auch Risiken wie mögliche Einflussnahme. Verweigert der Arbeitnehmer dennoch die Aussage, kann ebenfalls die Hinzuziehung eines Rechtsbeistands ermöglicht werden – ein Rechtsanspruch darauf besteht allerdings nicht.
Durchlesen von Interviews
Der wesentliche Zweck eines Interviews besteht darin, relevante Fakten zu erheben und die erstellten Aufzeichnungen ordnungsgemäß abzusichern. Um spätere Missverständnisse zu vermeiden, sollte dem Arbeitnehmer die Möglichkeit gegeben werden, das Protokoll durchzulesen. Noch besser: Eine Unterzeichnung des Protokolls durch den Arbeitnehmer bestätigt, dass er mit dem festgehaltenen Inhalt einverstanden ist, und erhöht die Beweiskraft. Eine Aushändigung des Protokolls an den Arbeitnehmer ist aus Vertraulichkeitsgründen jedoch nicht erforderlich, weil dies die weitere Aufklärung der Untersuchung und somit die berechtigten Interessen des Arbeitgebers konterkarieren könnte.
Amnestievereinbarungen
Mit einer Amnestievereinbarung verzichtet der Arbeitgeber – zumindest teilweise – auf ihm zustehende Rechte (zB arbeitsrechtliche Maßnahmen) gegenüber dem Arbeitnehmer. Im Gegenzug sagt der Arbeitnehmer aktive Mitwirkung zu, etwa bei der Aufklärung von Sachverhalten, der Vorbereitung von allfälligen behördlichen und gerichtlichen Verfahren sowie uU auch bei der Abwehr von Ansprüchen Dritter gegen den Arbeitgeber. Amnestievereinbarungen können jederzeit und allen Arbeitnehmern, ungeachtet ihrer Funktion, angeboten werden. Die Grenzen der Amnestievereinbarungen richten sich nach der anzustellenden Interessensabwägung. Je größer der zu erwartende Vorteil (Informationsgewinnung, Ersparnis bei der Untersuchung der Sachverhalte, günstigere Position in Verfahren bei Mitwirkung der Arbeitnehmer), umso weitgehender kann eine solche Amnestievereinbarung gehen (Beitrag zu Anwaltskosten, Abgeltung der Zusatzaufwände bei Mitwirkung, Verzicht auf arbeitsrechtliche Maßnahmen und/oder Schadenersatz).
Die Rolle des Betriebsrats bei Internal Investigations
Bei Internal Investigations stellt sich häufig die Frage, ob und inwieweit der Betriebsrat einzubinden ist. Gemäß § 91 Abs 2 ArbVG ist der Arbeitgeber verpflichtet, den Betriebsrat über alle Vorgänge zu informieren, bei denen personenbezogene Arbeitnehmerdaten automationsunterstützt aufgezeichnet, verarbeitet oder übermittelt werden. Der Betriebsrat darf dabei sowohl die Datenarten als auch die technische Grundlage der Maßnahmen prüfen.
Ob darüber hinaus eine Mitbestimmungspflicht in Form einer Betriebsvereinbarung nach § 96 ArbVG besteht, hängt von der Ausgestaltung der Maßnahme ab. Gemäß § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG ist die Zustimmung des Betriebsrats erforderlich, wenn Kontrollmaßnahmen oder technische Systeme zur Überwachung der Arbeitnehmer eingeführt werden und diese Maßnahmen die Menschenwürde der Arbeitnehmer berühren (zB Videoüberwachung, Überwachung der Computeraktivität).
Die Durchführung von Interviews kann unter bestimmten Voraussetzungen eine Mitbestimmungspflicht iSd § 96 ArbVG auslösen. Entscheidend ist dabei, ob es sich um eine zeitlich beschränkte (Ad-hoc-) oder eine dauerhafte Maßnahme handelt.
Ad-hoc-Interviews: Anlassbezogene Interviews, die zeitlich beschränkt sind und nur einen überschaubaren Kreis von Arbeitnehmern betreffen, verlangen keine Mitbestimmung des Betriebsrats. Auch besteht keine Informationspflicht über Verdachtsfälle oder laufende Untersuchungen, sofern Daten nicht automationsunterstützt aufgezeichnet, verarbeitet oder übermittelt werden.
Dauerhafte Maßnahmen: Regelmäßig oder dauerhaft durchgeführte Interviews können als Kontrollmaßnahmen gelten und lösen eine Mitbestimmungspflicht des Betriebsrats aus, wenn sie die Menschenwürde berühren.
Fehlt eine nach § 96 ArbVG erforderliche Betriebsvereinbarung, steht dem Betriebsrat ein Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch zu. In der Praxis wurde teilweise die Auffassung vertreten, dass auch Arbeitnehmer gegen rechtswidrig erlangte Beweismittel mittels Unterlassungs- und Beseitigungsklage vorgehen könnten, was ein Beweisverwertungsverbot zur Folge hätte. Der Oberste Gerichtshof hat dieser Ansicht jedoch widersprochen und damit ein Beweisverwertungsverbot abgelehnt (OGH vom 23. 5. 2019, 6 ObA 1/18t).

Praktische Auswirkungen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer
Aus den dargestellten Grundsätzen ergeben sich folgende Kernaussagen:
+ Arbeitnehmer sind grundsätzlich zur Aussage verpflichtet, sofern es um betriebsinterne, dienstliche Informationen geht.
+ Eine vollständige Aussageverweigerung kann als Treuepflichtverletzung gewertet und arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.
+ Arbeitnehmer müssen keine Auskünfte erteilen, durch die sie oder nahe Angehörige strafrechtlich belastet würden.
Die Grenze zwischen einer zulässigen Befragung und einem unzulässigen Druck zur Selbstbezichtigung kann manchmal fließend sein. Unternehmen sind daher gut beraten, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den eigenen Interessen und den Rechten der Arbeitnehmer zu wahren.
Sofern zB im Rahmen einer internen Untersuchung eine vorgenommene Datensichtung von Arbeitnehmer-Daten weitere Ergebnisse liefert, sollten Folgeinterviews mit Bedacht angesetzt werden – insbesondere, um keine Vorwarnung zu erzeugen, die zur Vernichtung von Beweismitteln oder zur Warnung Dritter führen könnte. Insgesamt gilt es, dass keine Schritte gesetzt werden sollten, die durch ein „frühzeitiges Aufmerksam-Machen“ der potenziell involvierten Arbeitnehmer auf die stattfindende Untersuchung den Ermittlungserfolg gefährden. Der betroffene Arbeitnehmer sollte daher kurzfristig (aber mit ausreichender Vorbereitungszeit) und unter Zusicherung absoluter Vertraulichkeit zum Interview gebeten werden. Die sorgfältige Protokollierung der Gespräche ist entscheidend für die Beweiskraft der Befragungsergebnisse.

Fazit
Eine strategisch geplante und rechtssichere Durchführung von Internal Investigations ist für Unternehmen unerlässlich. Sie dient nicht nur der Aufklärung von Verdachtsmomenten, sondern hilft auch, rechtliche Risiken zu minimieren und ein wirksames Compliance-Management im Sinne einer positiven Unternehmenskultur zu gewährleisten. Besonders aus arbeitsrechtlicher Perspektive ist bei internen Untersuchungen hohes Fingerspitzengefühl gefragt – nicht zuletzt, weil oft sensible Themen mit potenziellen arbeitsrechtlichen Folgen berührt werden.
Quellenverzeichnis:
- Gahleitner/Kappel in Ruhmanseder, Interne Untersuchungen (2024) Rz 7.4 ff. Kietaibl/Rebhahn in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 1153 ABGB (Stand 1. 1. 2018, rdb.at) Rz 34 ff.
- Körber-Risak/Lurf, Individualarbeitsrechtliche Aspekte unternehmensinterner Untersuchungen, ZAS 2017/35, 188 f.
- Marhold in Marhold/Burgstaller/Preyer, AngG § 18 (Stand 1. 6. 2012, rdb.at) Rz 17 ff.
- Mayer, Anzeigepflicht des Arbeitnehmers, ZAS 2010/31.
- Petsche in Petsche (Hrsg), Whistleblowing & Internal Investigations2 (2023) Kapitel 2: Rechtlicher Rahmen für Internal Investigations.
- Prasser/Neubauer, Grenzen innerbetrieblicher Ermittlungsmaßnahmen, ZAS 2024/3.