“Arbeitnehmer:innen” und “Kartellrecht” mag auf den ersten Blick eine etwas ungewöhnliche Kombination darstellen, weil man hinsichtlich Arbeitnehmer:innen grundsätzlich zuerst an arbeitsrechtliche Themenstellungen denken würde und bekannterweise Unternehmer:innen die Adressaten des Kartellrechts sind. Mit der erst kürzlich im Juni 2025 ergangenen Entscheidung der Europäischen Kommission (“Kommission“) in der Sache “Food Delivery Services” hat die Kommission eine Brücke zwischen diesen vermeintlichen Gegensätzen geschlagen, indem sie das erste Mal ein Kartell auf dem Arbeitsmarkt festgestellt hat. Die beiden am Kartell beteiligen Unternehmen Delivery Hero und Glovo wurden ua wegen Abwerbeverboten (sog “no-poach agreements“) mit insgesamt EUR 329 Mio bebußt. In den USA wurden ähnlich gelagerte Fällte bereits vor Jahren bebußt und seit einigen Jahren beschäftigen sich auch die nationalen Wettbewerbsbehörden in der EU mit Absprachen rund um das Thema Mitarbeiter:innen. Die Entscheidung der Kommission gibt diesem Trend einen weiteren Boost.
Ausgangssachverhalt
2018 erwarb Delivery Hero eine nicht-kontrollierende Minderheitsbeteiligung an Glovo, die Delivery Hero in Folge weiter erhöhte, um schlussendlich 2022 die alleinige Kontrolle an Glovo zu erwerben. Aufgrund der Minderheitsbeteiligung und der sich daraus ergebenden Gesellschafterbeziehung bot sich den beiden Unternehmen – wie die Kommission ausdrücklich festhielt – ein “Forum …, um ihre Geschäftsverhalten während des gesamten Zeitraums der Zuwiderhandlung zu koordinieren“. Die Kommission hat folgende Wettbewerbsverstöße für den Zeitraum zwischen 2018 und 2022 festgestellt:
- Abwerbeverbote,
- Austausch vertraulicher Informationen, und
- Marktaufteilung.
Kartellrechtswidrige Abwerbeverbote
Hinsichtlich der Abwerbeverbote stellte die Kommission fest, dass die beiden Unternehmen in den seit 2018 geschlossenen Gesellschaftervereinbarungen wechselseitige Einstellungsverbote (“no-hire clauses“) vereinbart hatten, dh die Unternehmen hatten vereinbart, sich nicht gegenseitig Mitarbeiter:innen aktiv abzuwerben und darüber hinaus auch keine Mitarbeiter:innen, die sich aus eigenem Antrieb beworben hatten, einzustellen. Diese wechselseitigen Einstellungsverbote waren weder zeitlich befristet noch geographisch begrenzt und bezogen sich auf bestimmtes Schlüsselpersonal. Später vereinbarten die Unternehmen darüber hinaus ein allgemeines Abwerbeverbot (“general no-poach agreement” oder “non-solicitation“), dh die Unternehmen vereinbarten, sich nicht aktiv Mitarbeiter abzuwerben, konnten jedoch auf Bewerbungen von Mitarbeiter:innen reagieren. Diese allgemeinen Abwerbeverbote waren nicht auf Schlüsselpersonal beschränkt.
In ihrer rechtlichen Beurteilung kam die Kommission zum Schluss, dass es sich bei diesen Vereinbarungen um eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung gem Art 101 Abs 1 lit c AEUV handle und merkte an, dass diese Vereinbarungen einem “Käuferkartell” ähneln. Diese Einstellungs-/Abwerbeverbote würden darauf abzielen, den “Wettbewerb um Talente” zwischen den beiden Unternehmen einzuschränken oder zu verzerren. Weiters führte die Kommission aus, dass Einstellungs-/Abwerbeverbote in der Regel wirtschaftlichen Schaden verursachen würden; konkret hätten sie (i) negative Auswirkungen auf Löhne, weil die Unternehmen keine höheren Löhne anbieten würden, um Mitarbeiter abzuwerben oder diese zu halten; (ii) dadurch würde die effiziente Allokation produktiver Mitarbeiter:innen zu produktiven Unternehmen verhindert werden, und (iii) dadurch sinkende Job-Reallokationsraten stünden letztlich in Zusammenhang mit sinkender Produktivität und einem langsameren BIP-Wachstum.
Vor dem Hintergrund der nicht-kontrollierenden Minderheitsbeteiligung von Delivery Hero an Glovo stellte sich die Frage, inwieweit bestimmte Vereinbarungen zwischen den Unternehme aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Verbindung kartellrechtlich darstellbar waren. Die Kommission prüfte die wechselseitigen Einstellungsverbote anhand der Vorschriften über notwendige Nebenabreden (“ancillary restraints”). Die Kommission hielt ausdrücklich fest, dass diese Einstellungsverbote aufgrund der nicht-kontrollierenden Beteiligung aber nicht den Vorschriften über notwendige Nebenabreden unterliegen würden und somit nicht kartellrechtsneutral seien.

Ausblick und To Dos
Zwar handelt es sich um die erste Entscheidung der Kommission zu einem Kartell auf dem Arbeitsmarkt, jedoch ist festzuhalten, dass die Kommission bereits in ihrem “Competition Policy Brief” aus Mai 2024 zum “Kartellrecht auf Arbeitsmärkten” ihre Rechtsansicht zur kartellrechtlichen Beurteilung von Abwerbeverboten deutlich zum Ausdruck gebracht hatte. Insofern schien es nur eine Frage der Zeit zu sein, bis die Kommission eine erste Entscheidung in diesem Bereich fällen würde. Auch auf nationaler Ebene gab es in den letzten Jahren bereits erste Entscheidungen zu Absprachen im HR-Bereich. Zuletzt verhängte die französische Wettbewerbsbehörde im Juni 2025 Geldbußen von in Summe beinahe EUR 30 Millionen über IT-Beratungsunternehmen, die no poaching-Vereinbarungen abgeschlossen hatten. Der Fall war aufgrund von Kronzeugenanträgen aufgedeckt worden.
Diese Entwicklungen zeigen klar, dass in Unternehmen das Bewusstsein geschaffen werden muss bzw für eine entsprechende Sensibilisierung zu sorgen ist, dass auch im HR-Bereich stets an das Kartellrecht zu denken ist. Berührungspunkte zu diesem Thema können auch Mitarbeiter:innen aus anderen Abteilungen haben, die ins Recruiting involviert sind. Die kartellrechtlichen Compliance- und Schulungsunterlagen sollten upgedatet werden und sofern bestimmte mit dem Recruiting befassten Mitarbeiter:innen bislang nicht zum Teilnehmerkreis bei Kartellrechtsschulungen zählen, sollte auch dies geändert werden.
Unternehmen, die mit einer nicht-kontrollierenden (Minderheits)Beteiligung an einem Mitbewerber beteiligt sind, sollten prüfen, dass das Verhältnis (sowohl gemäß den Verträgen als auch faktisch) kartellrechtlich sauber ausgestaltet ist.

Lesen Sie hier auch unseren Rückblick zum Legal Breakfast vom 10. September 2025 in Kooperation mit Business Circle zum Thema „Wettbewerbsfaktor Mitarbeiter“: HR im Spannungsfeld von Kartell- und Arbeitsrecht.