Einseitig öffentliche Mitteilungen als möglicher Kartellverstoß

Auf den ersten Blick erfasst das Kartellverbot gem § 1 KartG / Art 101 Abs 1 AEUV Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen; mit anderen Worten: Es müssen zumindest zwei oder mehr Akteure am wettbewerbswidrigen Verhalten beteiligt sein, um gegen das Kartellverbot zu verstoßen. Folglich fällt das einseitige Verhalten eines Unternehmens grundsätzlich nicht unter das Kartellverbot.

Jedoch hat die Europäische Kommission (“Kommission“) in ihren Horizontal-Leitlinien betont, dass durchaus auch die einseitige Offenlegung sensibler Geschäftsinformationen durch öffentliche Ankündigung (bspw durch einen Beitrag auf einer öffentlich zugänglichen Website, einer Erklärung auf einer öffentlichen Veranstaltung oder in einer Zeitung) eine aufeinander abgestimmte Verhaltensweise iSd Art 101 Abs 1 AEUV darstellen kann. So können derartige einseitigen öffentlichen Ankündigungen als Kommunikationskanal zwischen Wettbewerbern genutzt werden, um künftige Absichten zu signalisieren, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten.

In der jüngst veröffentlichen Entscheidung des EuG (09.07.2025, T-288/24) standen einseitige öffentliche Erklärungen im Mittelpunkt des Verfahrens. Die Kommission hatte ihre Entscheidung zu unangekündigten Nachprüfungen (“dawn raids“) bei Unternehmen in der Reifenindustrie auf einseitige öffentliche Erklärungen gestützt. Das EuG wies die Nichtigkeitsklage eines Reifenherstellers gegen diese Vorgehensweise der Kommission grundsätzlich zurück und stützte insofern die strenge Ansicht der Kommission, dass allein einseitige öffentliche Mitteilungen ausreichend Verdachtsmomente für einen möglichen Kartellverstoß begründen können. Neben Ausführungen dazu bietet diese Entscheidung insb auch einen vertieften Einblick in die Methoden, die die Kommission anwendet, um Kartellrechtsverstöße auf Basis einseitig öffentlicher Mitteilungen zu identifizieren. Es sind gerade diese Ausführungen der Kommission, die aus Unternehmenssicht von besonderen Interessen sind.

Ausgangssachverhalt

Im Jänner 2024 führte die Kommission in mehreren Mitgliedstaaten unangekündigte Nachprüfungen in der Reifenindustrie durch, weil ihr Verdachtsmomente vorlagen, dass die betroffenen Unternehmen ua über öffentliche Mitteilungen ihre Preise abgestimmt haben könnten. Aufgrund des Verdachtes, dass ein Beratungsunternehmen diese mutmaßlichen Preisabstimmungen über öffentliche Kommunikationskanäle unterstützt oder angeregt haben könnte, kam es im Juni 2024 bei diesem Beratungsunternehmen ebenso zu einer unangekündigten Nachprüfung (siehe Fall AT.40863 – Hoops).

Methoden der Kommission zur Identifizierung verdächtiger Mitteilungen

Die Kommission führte hinsichtlich ihrer Vorgehensweise betreffend wettbewerbswidriger Absprachen mittels öffentlicher Kanäle an, dass sie ein Marktüberwachungssystem etabliert hat, um mehrere hunderttausend Earning Calls (dh regelmäßige Telefonkonferenzen der Unternehmensleitung mit Investoren, Analysten und Medien zu den Finanzergebnissen) in verschiedenen Sektoren und einer Reihe geographischer Gebiete zu analysieren und verdächtige öffentliche Äußerungen identifizieren zu können. Die Inhalte dieser Earning Calls sind der Öffentlichkeit als Transkripte zugänglich. Zweck dieser Analyse war es, Situationen zu erkennen, in denen die Unternehmensleitungen von Wettbewerbern über einen längeren Zeitraum hinweg besonders oft Formulierungen verwendeten, die auf Absprachen hindeuten könnten – in der Reifenindustrie hat die Kommission eine hohe Anzahl verdächtiger öffentlicher Mitteilungen festgestellt.

Die Analyse der Kommission bestand aus einem quantitativen und qualitativen Teil. Zuerst hat die Kommission eine quantitative Analyse unter Verwendung von Schlüsselbegriffen durchgeführt, wodurch eine hohe Anzahl von Treffern in der Reifenindustrie gefunden wurde. In Folge plausibilisierte die Kommission anhand einer qualitativen Analyse diese Treffer. Auf Basis dieser Analysen bestand nach Ansicht der Kommission der Verdacht, dass eine Reihe dieser einseitigen öffentlichen Mitteilungen auf wettbewerbswidriges Verhalten hindeuten, weil die Hersteller in diesen regelmäßig erklärt hätten, (i) wie Wettbewerber ihre Preise festsetzten sollen, (ii) ihre Bereitschaft, als Preisführer oder -folger auf dem Markt zu agieren, und (iii) wie man auf Preisänderungen der Wettbewerber reagieren würde.

Aus Sicht der Kommission waren folgende Formulierungen in diesem Zusammenhang auffällig: “wir wollen ein Signal senden“, “wir haben einen Plan“, “die Strategie besteht darin, sich auf … zu konzentrieren“, “wir bemühen uns, an … festzuhalten“, “wir werden unser Bestes tun, um“, “wir sind in der Lage” und “wir haben nicht die Absicht, uns für … zu entscheiden“.

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Conclusio und zu setzende Schritte

Vor dem Hintergrund dieser Entscheidung ist festzuhalten, dass Unternehmen auch bei einseitigen öffentlichen Mitteilungen immer mitbedenken sollten, wie Wettbewerber aber auch insbesondere Wettbewerbsbehörden diese “auffassen” könnten. Es gilt in diesem Zusammenhang jedenfalls Aussagen zu vermeiden, die sensible Geschäftsinformationen enthalten oder (zukünftiges) Marktverhalten darlegen, wobei – unter Beachtung der aus Sicht der Kommission auffälligen Formulierungen – auch vordergründig “unverdächtiger Marketingsprech” bei regelmäßiger Verwendung in der jeweiligen Branche durchaus ins Visier der Wettbewerbsbehörden geraten kann. Eine Prüfung öffentlicher Unternehmensmitteilungen aus kartellrechtlicher Sicht ist daher jedenfalls angezeigt.

Darüber hinaus verdeutlicht die Entscheidung ebenso eindrücklich, dass Wettbewerbsbehörden hinsichtlich der eingesetzten Methoden auf dem aktuellen Stand der Informationstechnik sind, um der Fülle an Daten Herr zu werden und so auch die sprichwörtliche “Nadel im Heuhaufen” finden können. Daher sollte jedem Unternehmen Bewusst sein, dass öffentliche geteilte Informationen keineswegs unauffindbar im stetigen Datenfluss untergehen, sondern Wettbewerbsbehörden solche “Schätze” heben können.